Wer die Stadtpfarrkirche St. Peter und Paul in Görlitz betritt, wird unweigerlich von einem Anblick gefangen genommen, der seinesgleichen sucht: Hoch oben, im Glanz barocker Pracht, thront die Sonnenorgel. Schon ihr Name klingt wie ein Versprechen – und er hält es. Dieses Instrument ist nicht nur eine Orgel, sondern ein Gesamtkunstwerk aus Klang, Handwerkskunst und Symbolik, das seit dem frühen 18. Jahrhundert Besucher aus aller Welt in seinen Bann zieht.
Entstanden ist die Sonnenorgel in einer Zeit, in der Görlitz als Handels- und Kulturstadt florierte. Die Auftraggeber wollten mehr als ein Musikinstrument – sie wünschten sich ein Monument, das Glauben, Kunst und handwerkliche Meisterschaft in sich vereint. Der Orgelbauer Eugenio Casparini, ein Meister seines Fachs, nahm sich dieser Aufgabe an. Zwischen 1703 und 1706 schuf er ein Werk, das nicht nur klanglich, sondern auch optisch zu einem Sinnbild barocker Opulenz wurde.
Das Besondere, ja Einzigartige, sind die 18 strahlenden Sonnenköpfe, aus deren Mündern Orgelpfeifen hervortreten. Jede dieser Sonnen ist kunstvoll geschnitzt und vergoldet, ihre Strahlen scheinen das Kirchenschiff mit goldenem Licht zu erfüllen. In einer Epoche, in der Licht als göttliches Symbol galt, war diese Gestaltung mehr als Dekoration – sie war ein theologisches Bekenntnis. Die Sonnen sollten nicht nur den Klang „tragen“, sondern auch die göttliche Präsenz im Raum sichtbar machen.
Technisch ist die Sonnenorgel ein Meisterwerk barocker Orgelbaukunst. Sie umfasst mehrere Manuale und ein umfangreiches Pedalwerk, das einen reichen und facettenreichen Klang ermöglicht. Die Registerpalette reicht von zarten Flötenstimmen, die wie ein ferner Hauch erklingen, bis zu majestätischen Trompeten, die das Kirchenschiff mit machtvollem Klang füllen. Casparini verstand es, jedem Register seinen unverwechselbaren Charakter zu geben, sodass die Orgel sowohl für festliche Liturgie als auch für virtuose Konzerte ideal ist.
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Was die Sonnenorgel zu einem Weltunikat macht, ist nicht nur ihre spektakuläre Optik, sondern auch die harmonische Verbindung von Ästhetik und Akustik. Die Konstruktion der Sonnenköpfe ist so ausgeführt, dass sie den Schall nicht behindern, sondern in den Raum lenken. Dadurch entsteht ein besonderer räumlicher Klang, der den Zuhörer umhüllt und ihm das Gefühl gibt, mitten im Musikgeschehen zu stehen.
Heute ist die Sonnenorgel nicht nur ein Instrument des Gottesdienstes, sondern auch ein Magnet für Musikliebhaber, Historiker und Touristen. Internationale Organisten reisen eigens nach Görlitz, um auf ihr zu spielen und den einzigartigen Klang zu erleben. Wenn dann die ersten Töne erklingen und die Sonne im Kirchenfenster ihr Licht auf das vergoldete Prospekt wirft, verschmelzen Vergangenheit und Gegenwart in einem Augenblick zeitloser Schönheit.
Die Sonnenorgel von Görlitz ist damit mehr als ein Denkmal vergangener Jahrhunderte – sie ist ein lebendiger Beweis dafür, dass Musik und Kunst die Kraft besitzen, Generationen zu verbinden und selbst nach über 300 Jahren noch zu strahlen. Wer sie einmal gesehen und gehört hat, vergisst diesen goldenen Klang für immer.
